Letzte Dinge

Hors Lohse

Hieronymus Bosch Triptychon

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Horst Lohse

Letzte Dinge

Hieronymus Bosch Triptychon

Die sieben Todsünden (1989)
für Orgel solo

Die vier letzten Dinge (1996/97)
quasi una Sinfonia da Requiem
für Orgel und grosses Orchester

Cave, cave, Dominus videt  (2011/12)
für Orgel und Sprecher

 

Christoph Maria Moosmann, Orgel
Robert Hunger-Bühler, Stimme

Bamberger Symphoniker
Leitung: Aldo Brizzi

 

Horst Lohse

Letzte Dinge

Hieronymus Bosch Triptychon

 

„Hieronymus Boschs Bildwelten übten auf mich bereits im jugendlichen Alter eine immense Faszination aus, die über Jahre hinweg nicht schwand“, notierte Horst Lohse während der Arbeit an seinem „Hieronymus Bosch Triptychon“. In dessen Teilen, die sukzessive über einen Zeitraum von 23 Jahren entstanden, widmet er sich drei Elementen der Bosch zugeschriebenen „Madrider Tafel“, die durch Philipp II. nach Spanien kam und heute im Museo del Prado aufbewahrt wird: zuerst dem mittleren Rundbild („Die sieben Todsünden“, 1989), dann den kleinen Rundbildern in den Ecken der Tafel („Die vier letzten Dinge“, 1996/97) und zuletzt der Spannung zwischen der schwarzen Grundfläche und dem Zentrum des mittleren Rundbilds („Cave cave Dominus videt“, 2011/12).

Hauptinstrument des Zyklus ist die Orgel. Im ersten Teil übersetzt sie DIE SIEBEN TODSÜNDEN in drastisch-plastische Klanggesten. In [1] IRA (Zorn) gehen ein Dreiton- und ein Viertonmotiv aufeinander los. In scharfer, schneidender Rede und Widerrede verbeißen sie sich ineinander, ringen miteinander. [2] SUPERBIA (Hoffart) bietet eine betörende Melodielinie und ihre gleichzeitige Spiegelung in der Tiefe, wo ein Teufel vergnügt auf den Zusammensturz des narzisstischen Subjekts wartet. Freude an der Auflösung des Ich zeigt sich in [3] LUXURIA (Wollust) als Jagd und Hingabe zugleich: Die Orgel beginnt in weiter Lage zu spielen, das Objekt ihrer Begierde wird in sich verkleinernden Intervallen eingekreist, bis zum Einklang, zur Vereinigung. Danach ignoriert [4] ACEDIA (Trägheit) stumpf das Verrinnen der Zeit. Die Schwerkraft lässt keine Aktivität zu, spintisierende Gedanken bleiben ohne Konsequenz. In [5] GULA (Völlerei) zerkleinert das kauende Ostinato des Pedals Unmengen imaginärer Speisen – Sättigung ignorierend. Im Krokodilsrachen enger werdender Intervalle gleiten Klangmassen abwärts, bis die Magensäfte sie auflösen. [6] AVARITIA (Habsucht) artikuliert sich als beharrlich repetierter Akkord. Ein leises, bettelndes Gegenmotiv vermag die Härte nicht aufzuweichen. Im Gegenteil: Der gierige Akkord tötet das Gegenmotiv, verleibt sich seine Töne ein und bläht sich immer weiter auf. Angriffslustige Zehnstimmigkeit signalisiert: Die Expansion ist nicht am Ende. In [7] INVIDIA (Neid) rivalisieren schließlich zwei Tonbereiche, die sich in Tritonus-Spannung zueinander befinden: Diatonik und Pentatonik. Mit ungleichen Kräften wetteifern sie um ein einfaches Grundmotiv. Die Spannung bleibt unaufgelöst.

In DIE VIER LETZTEN DINGE treten die Reflexionen der Orgel in Dialog mit dem Orchester. [8] Fahle und aufgewühlte Klänge eröffnen eine Sterbeszene: der Tod (MORS) steht bereit, während ein Engel, ein Teufel und Personen der Kirche um die Seele des Menschen wetteifern. Die Lebenskraft bäumt sich auf, das Blut pulsiert ruckartig, bis es stockt. [9] Der gestorbene Körper wird mit Trommelschlägen, Blech-Attacken und apokalyptischem Windhauch zum Gericht (IUDICIUM) wachgerüttelt. Eine aus dem „dies irae“-Motiv entwickelte Klangspirale schraubt sich in rasende Höhen. [10] Nach einer Atempause erweist sich die Hölle (INFERNUM) als diesseitige Szenerie: Ins Bild hineingemalte Namen von Todsünden dienen als Vorwand für Foltern aller Arten. Unterschiedliche Klangsymbole für Verletzungen und Übergriffe stellen die Frage nach der Sinnlosigkeit des Leidens und der Verantwortung dafür. [11] Anstelle einer Antwort gibt es neue Rätsel zu hören. Die Tonreihen, die auf den Himmel (PARADISUS) verweisen, wurden durch Zufallsoperationen ermittelt. Ein russischer Pfingsthymnus, intoniert auf einer Sopranblockflöte, hebt sich fremdartig von ätherischen Metallklängen ab.

[12] Der dritte Teil zieht eine Summe aus dem musikalischen Material – und nähert sich kritisch der im Zentrum des Gemäldes zu lesenden Überschrift: CAVE CAVE DOMINUS VIDET. Im Text von Michael Herrschel erscheint die Vorstellung eines Gottes, der überwacht und straft, als Produkt menschlicher Machtfantasie. Aber was bedeutet die Firmament-Farbe im Innern des gemalten Auges? Eröffnet sie eine befreiende Perspektive?

„Die sieben Todsünden“ wurden 1990 von Theo Brandmüller in der Kreuzkirche Bonn uraufgeführt, „Die vier letzten Dinge“ 1997 von Christoph Maria Moosmann (Orgel) und den Bamberger Symphonikern unter Aldo Brizzi in der Konzert- und Kongresshalle Bamberg, „Cave cave Dominus videt“ 2012 von Sirka Schwartz-Uppendieck (Orgel) und Michael Herrschel (Stimme) in der Neustädter Kirche Erlangen.

Lorenz Trottmann & Artur M. Werner